Mechanismus enthüllt: Bakterien der Art Escherichia coli sind normalerweise harmlos, doch einige Varianten dieser Darmkeime können Darmkrebs fördern. Warum, haben nun Forschende herausgefunden. Demnach setzen diese Coli-Varianten ein DNA-schädigendes Toxin frei, das Mutationen in den Zellen der Darmschleimhaut fördert – aber nur, wenn sich die Keime an die Darmwand anlagern, wie Forschende in „Nature“ berichten. Daraus ergibt sich ein neuer Ansatz, um das Krebsrisiko zu senken: Wirkstoffe, die die Bakterien-Anheftung im Darm blockieren.
Dickdarmkrebs ist die weltweit dritthäufigste Krebsart und endet für etwa die Hälfte der Betroffenen tödlich. Immer mehr Menschen sind von dieser Tumorart betroffen, vor allem bei jungen Menschen und in westlichen Ländern nehmen die Fallzahlen zu. Neuere Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Bakterien in der Darmflora die Entwicklung von Darmkrebs fördern können. Wie sie dies tun, ist jedoch weitgehend unbekannt.
Einige Coli-Bakterien produzieren Gift
Einige dieser mutmaßlich krebsfördernden Darmbakterien sind pks+ E. coli-Stämme, die bei Patienten mit Darmkrebs auffällig häufig vorhanden sind, aber auch bei einigen gesunden Menschen vorkommen. Diese Bakterien produzieren nachweislich einen Giftstoff namens Colibactin, der an die menschliche DNA binden und diese beschädigen kann. Dadurch entstehen Mutationen, die das Krebsrisiko erhöhen.
Ein Team um Maude Jans vom Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB) in Gent hat nun untersucht, wie die pks+ E. coli Bakterien die Darmwand angreifen und ihr Toxin so verabreichen, dass es auf die DNA der Darmzellen wirken kann. Dafür analysierten sie den Darm von Mäusen, Proben von Darmgewebe von gesunden und krebskranken Patienten sowie Darmorganoide.
Auf die Bindung kommt es an
Die Experimente ergaben, dass diese Bakterien abwechselnd frei im Darm herumschwimmen und sich an die Epithelzellen der Darmwand anlagern. Diese Anheftung war mit einer höheren Zahl, Größe und Aggressivität der Tumore verbunden, wie das Team feststellte. Der Kontakt mit der Wand des Dickdarms erfolgt mithilfe von langen Proteinfasern auf der Bakterienoberfläche, sogenannten Pili. Die Enden der Pili sind dafür extra mit sogenannten Adhäsinen versehen, durch die sie an die Rezeptoren der Epithelzellen binden können, was eine perfekte Haftung erlaubt, wie die Tests enthüllten.
„Wir konnten die spezifischen bakteriellen Adhäsine identifizieren, die die Bindung an Dickdarmzellen vermitteln: FimH und FmlH“, berichtet Koautorin Magdalena Kolata von der Freien Universität Brüssel. „Wir stellten die Hypothese auf, dass die Bindung durch diese Adhäsine es den Bakterien ermöglicht, das Genotoxin Colibactin in der Nähe von Epithelzellen zu produzieren, was zu DNA-Schäden und Krebsentwicklung führt.“
Hemmstoffe gegen die krebserregenden Bakterien
Um ihre Theorie zu überprüfen, hemmten die Forschenden anschließend diese Bindungsstellen der Bakterien mit dem Morbus-Crohn-Medikament Sibofimloc. „Wir haben einen therapeutischen Ansatz getestet, um die Anheftung von Bakterien mit Molekülen zu verhindern, die die Bindung dieser essenziellen bakteriellen Adhäsine blockieren“, erklärt Jans. Dabei zeigte sich, dass die Coli-Bakterien ohne FimH und FmlH tatsächlich nicht mehr an die Darmzellen binden und kaum noch DNA-Mutationen in diesen Zellen auftreten. Auch Tumore entwickelten sich dann deutlich seltener.
„Unsere Experimente zeigen, dass die Bindung von pks+ E. coli an das Darmepithel als kritischer Schritt bei der Entstehung von Darmkrebs angesehen werden kann. Wir fanden heraus, dass durch den Eingriff in diese bakteriellen Anheftungsmechanismen die Tumorentwicklung in präklinischen Modellen stark abgeschwächt werden kann“, sagt Seniorautor Lars Vereecke vom VIB.
Jans und ihre Kollegen schließen daraus, dass das bakterielle Gift seine DNA-schädigende Wirkung nur in unmittelbarer Umgebung entfalten kann und dass Adhäsin-Hemmer daher effektiv solche krebserregenden Bakterien unterdrücken können. Das könnte künftig Menschen mit erhöhtem Darmkrebsrisiko helfen. „Dieser Therapieansatz ist sehr vielversprechend, da er im Gegensatz zu Antibiotika erfolgreich auf schädliche E. coli-Stämme abzielt, ohne die nützlichen Darmmikroben zu beeinträchtigen“, sagt Jans. In Folgestudien soll der Einsatz solcher potenziellen Krebsmedikamente nun genauer erforscht werden.
Warum Probiotika nicht ungefährlich sind
Diese Befunde erklären auch das scheinbar widersprüchliche Rätsel, warum manche als Probiotika zugelassenen pks+ E. coli Bakterien trotz ihrer Fähigkeit, die DNA-schädigende Substanz Colibactin herzustellen, nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden sind: Ihre Anheftung ist zu schwach. „Es stellte sich heraus, dass diese Stämme eine FimH-Variante enthalten, die nicht sehr gut bindet, so dass das Colibactin-Toxin sein Ziel nicht erreicht“, sagt Koautor Han Remaut vom VIB.
Die Forschenden konnten allerdings auch zeigen, dass diese FimH-Variante schon durch drei Mutationen ebenfalls eine starke Anheftung an Darmzellen erlangen kann und diese Bakterien dadurch ebenso krebserregend werden können. Solche Veränderungen könnten auf natürliche Weise und spontan eintreten, weswegen Jans und ihre Kollegen davon abraten, pks+ E. coli Bakterien wie den Stamm „Nissle 1917“ als vermeintlich wohltuende Probiotika für einen gesunden Darm einzusetzen. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08135-z)
Quelle: Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB)